Wie ich doch noch sächsischer Polizeiausbilder wurde…

Das Telefon klingelt: „Schuster hier, Innenminister! – Spreche ich mit Kurt Mondaugen?“

„Ja-aa?“

„Sie haben da doch diese Lesebühne Connewitzer Kreuz“

„Ne-ee!“ sage ich: „Schkeuditzer Kreuz, ich bin bei der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz, wenn Sie die meinen.“

„Egal Schkeuditzer Kreuz oder Connewitzer Kreuz – jedenfalls treten Sie da doch regelmäßig irgendwo auf in diesem Connewitz mit Ihrer Lesebühne?!“

„Ja-aa – einmal im Monat im Werk 2.“

„Sag ich doch, Herr Mondaugen, ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein: Wir haben ein Problem!“

„So, so“, sage ich.

„Ja“ sagt der Innenminister, „also ich habe mir jetzt in Rücksprache mit dem Ministerpräsidenten Folgendes überlegt: Das mit unserer sächsischen Polizei geht jetzt nicht mehr so weiter. Eine Evaluations-Studie zu unserer Polizeischüler-Werbekampagne Verdächtig gute Jobs hat ergeben: Aktuell kommen sämtliche Bewerber für unsere sächsischen Polizeischulen einzig und allein aus den national befreiten Zonen des Freistaats: also aus dem Landkreis Bautzen, der Sächsischen Schweiz, Freital, Döbeln, Wurzen, Mockau usw. – Sie verstehen, was ich meine. Und die Evaluation hat auch ergeben, dass fast alle Polizeischulbewerber unter einer pathologischen autoritären Zwangsstörung leiden. Und das äußert sich zum Beispiel darin, dass man ihnen am ersten Tag beim Einrücken in die Polizeikaserne immer erst mühsam erklären muss, dass das Grußzeichen der sächsischen Polizei eben nicht der Hitlergruß ist, und dass man als Antwort auf eine Anweisung eines Vorgesetzten auch nicht: »Jawohl, Herr Obersturmbannführer!« brüllen muss, so wie sie es von zu Hause her gewöhnt sind, all diese Polizeischulbewerber aus Oschatz, Hinterhermsdorf, Colditz und Grimma.“

„So, so“, sage ich

„Ja genau“, sagt der Innenminister, „also wir, der MP und ich, haben uns jetzt überlegt, die Polizei in Sachsen sollte in Zukunft vielleicht doch ein etwas breiteres Bevölkerungssegment repräsentieren als nur die üblichen Nazis, Sexisten und Rassisten – einfach auch deshalb, damit unsere Landespolizei in Zukunft nicht mehr so eine negative Projektionsfläche anbietet für diese ganzen geifernden links-grünen überregionalen Medien und für die Connewitzer Antifa am besten auch nicht. Die Polizei des Freistaates soll vielmehr die erste deutsche Landespolizei werden, die von der Antonio-Amadeu-Stiftung eines Tages – sagen wir mal so in zwei, drei Jahren – den neu geschaffenen All-Cops-Are-Beautiful-Demokratie-Preis verliehen bekommt. Und damit uns dies gelingt, müssen wir eben ein bisschen diverser und inklusiver aufgestellt sein, was unser Personal angeht. – Konkret heißt das: Wir brauchen für unsere sächsische Polizei ab jetzt und in Zukunft wenigstens ein paar Handvoll Türken und Juden, ein paar Syrer, Vietnamesen und Afghanen und unbedingt auch Nigerianer und Sudanesen – je schwärzer desto besser – und außerdem natürlich auch noch ein paar Hardcore-Antifa-sozialisierte Kids aus Connewitz. – Ich meine solche, die nach ihrem Schulabschluss oder Studienabbruch voll Bock haben, mal so richtig tough aus ihrer Bubble rauszukommen. – Und da kommen jetzt Sie ins Spiel, Herr Mondaugen!

„Da komme ich ins Spiel?“

„Ja genau Sie, denn natürlich braucht es, um neue Bewerberzielgruppen für die sächsische Polizei zu erschließen, auch eine grundsätzlich neue Art der Polizeiausbildung. Die Ausbildung muss in Zukunft so ausgerichtet sein, dass sie auch für ein diverseres Klientel als bisher attraktiv ist. Und Sie, Herr Mondaugen, haben da doch Ihre Lesebühnen-Crew, die regelmäßig in Connewitz auftritt – und da kommen ja dann sicher auch immer mal irgendwelche Antifas aus dem Kiez als Besucher zu ihrer Lesebühne. Die feiern das doch sicher voll ab, wenn Sie auf der Bühne mal wieder irgendwelche krass ironischen Sprüche über die sächsische Polizei raushauen oder sogar über mich als Innenminister. – Nee! – Sie brauchen da jetzt gar nicht widersprechen: Weil: ich hab‘ mir das heute früh alles mal ausgiebig angeschaut auf den Videos der Überwachungskameras, die wir da überall im Werk 2 angebracht haben under Cover, seit wir mit der Gründung der Soko Linx und dem Fall LINA E. endlich die staatlichen Durchgriffsrechte dafür hatten. – Aber das tut jetzt gerade mal nichts zur Sache hier. – Jedenfalls hab ich mir die vergangenen drei Folgen Ihrer Lesebühne angeschaut und ich wollte Sie fragen, ob Sie sich nicht vorstellen könnten, an unserer neu aufzubauenden diversifizierten alternativen Polizeischule in Leipzig Connewitz Polizeiausbilder zu werden und ob Sie nicht Ihre Kolleg*innen von der Lesebühne auch noch gleich als Personal für die neue Schule gewinnen könnten – wenigstens halbtags und wenn Sie wollen entfristet mit Beamtenzulage oder als KSK-Job, ganz wie Sie und Ihre Kolleg*innen das wünschen. Überlegen Sie sich das echt: Verdächtig gute Jobs bei uns! – Sie wissen ja!“

Wow, denke ich, habe ich mich da eben verhört oder hat Armin Schuster von der schwärzesten deutschen CDU tatsächlich eben gerade zweimal „Kolleg*innen“ gegendert, um sich bei mir einzuschleimen oder um zu zeigen, welchen krassen Sinneswandel er und sein Ministerium und seine Partei insgesamt gerade unerwartet vollzogen haben?  Oder ist Schuster einfach nur auf Koks? – Ich bin ein bisschen angewidert und sprachlos.

Wir sind doch alle Antifa! – Herr Mondaugen“, schiebt Schuster jetzt noch säuselnd hinterher, „– also, wenn Sie ein bisschen Bedenkzeit brauchen, das verstehe ich, und das wäre gar kein Problem.“

Ich bin immer noch perplex.

„Herr Mondaugen?“

Ich räuspere mich, aber mein Kopf ist wie leer…

„Also abgemacht“, höre ich mich plötzlich sagen.

„Abgemacht was?“

„Abgemacht, dass ich bei meinen Kolleg*innen mal nachfrage!“

„Danke Herr Mondaugen, ganz herzlichen Dank! Ich bin so froh, dass Sie das jetzt hier für mich tun! Das werde ich Ihnen nie vergessen! Und die Staatsregierung auch nicht! Ehrlich! Übrigens: Falls Sie nicht zusagen: Dieses Gespräch hier hat es nie gegeben, und wir werden Sie in diesem Fall natürlich alle vom Verfassungsschutz beobachten lassen in Zukunft. 

Zoom und Schnitt:

Sechs Monate später: Der sächsische Innenminister hat in einem beispiellos beschleunigten politischen und administrativen Schnellverfahren sämtliche bisher aktiven sächsischen Polizeischulen kurzfristig wegen der permanenten Nazivorfälle schließen lassen. Und gestern, am 2. Juni 2024 ist Armin Schuster dann zusammen mit dem Ministerpräsidenten das erste Mal in seinem Leben nach Connewitz gefahren. Und Kretschmer und Schuster haben sich dort tatsächlich gemeinsam auf einen von den Einwohner*innen bejubelten Rundgang durch den linksradikalen Stadtteil begeben – inklusive Bad in der Menge Ecke Bornaische Straße/Stockartstraße. Und anschließend haben sie dann tatsächlich mit einem Festakt die neue diversifizierte Polizeischule in Connewitz auf dem Gelände der ehemaligen Polizeiwache Richard-Lehmann-Straße eingeweiht.

Und heute ist nun der 3. Juni 2024, zufällig der erste Jahrestag des Tag X, an dem wirklich die ersten jungen Polizeirekrut*innen aus ganz Sachsen mit Mannschaftswagen auf dem Hof der neuen Polizeischule Connewitz eintreffen. Aus den Sixpacks springen junge und nicht mehr ganz so junge Punks, Flintas, People of Colour, aber auch ein paar verschüchterte, offenbar irregegangene Provinz-Faschos. Dazu dröhnt fett aus den Lautsprechern neben der kleinen Bühne im Innenhof: „Der Mariannenplatz war blau, soviel Bullen waren da…“ – Es ist Lesebühnen-Urgestein und Soundmaster Hauke von Grimm, der am DJ-Pult steht und mit leichtem Wippen in den Knien gerade den ultimativen Polizeirekrut*innen-Begrüßung-Track aufgelegt hat: den guten alten „Rauchhaus“-Song von Ton Steine Scherben: „Und Mensch Meier musste heulen, das war wohl das Tränengas. Und er fragte irgendeinen: Sag mal, ist hier heut ’n Fest? – So was ähnliches sagte einer, die Richard-Lehmann-Wache wird besetzt“

Und direkt neben Hauke am Mikrofon steht jetzt Franziska Wilhelm, die neue Polizeischuldirektorin. Sie zündet, passend zur Musik, einfach mal zwei krasse Bengalos und ruft über den ausfadenden Scherben-Song hinweg den neuen Polizeischüler*innen euphorisch zu: „Herzlich willkommen, liebes Publikum – ähem – liebe Polizeianwärter*innen. Mein Name ist Franziska Wilhelm, ich bin wie alle meine Kolleg*innen im engeren Ausbilder*innen-Team Mitglied der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum ausgerechnet ich zur Schuldirektorin bestimmt wurde, vermutlich weil ich am seriösesten wirke. Neben meiner Leitungsfunktion mache ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Krisenmanagement für die Schule. Außerdem kann man bei mir immer dienstagsnachmittags Vorlesungen über die Vorzüge von Carsharing bei der Polizei hören und warum man Wasserwerfer nur bei der Feuerwehr, nicht aber auf Demos einsetzen darf. – So viel zu mir. – Und hier neben mir steht, wie Ihr alle schon gehört habt, Reverent DJ Hauke von Grimm. Er ist an unserer Schule für die polizeikritische Musikausbildung zuständig, ebenso wie für das Fach Episches Rettungsschwimmen.“

Mitten in ihre Worte hinein, dreht DJ Hauke seine Musikanlage auf volle Lautstärke und über den ganzen Hof, ja über ganz Connewitz hinweg schallt der berühmte Track „Fuck Tha Police“ von N.W.A.  Als der letzte Ton verklungen ist, gibt es tosenden Applaus durch den größten Teil des Publikums. Lediglich ein kleinerer Teil der Polizeischüler*innen, blickt sich noch schwerer irritiert als vorhin um und muss gegen ein permanentes Zucken im rechten Arm ankämpfen.

„Und damit komme ich zu meinen drei anderen Lesebühnen-Kolleg*innen. Ich bitte auf die Bühne: Marsha Richarz, Julius Fischer und Kurt Mondaugen.“

Die Menge applaudiert, und als wir oben stehen, fährt Franzi mit ihrer Vorstellungsrunde fort: „Marsha Richarz bietet an unserer neuen Polizeischule montags bis freitags antifaschistische Poetry-Slam-Workshops an, lehrt Bühnenpräsenz, Selbstwahrnehmung und das Abtrainieren von Sexismus, Rassismus, Klassismus und Behindertenfeindlichkeit sowie klerikalem Extremismus. Außerdem kann man bei ihr lernen, wie man als Polizei am besten mit tobenden Kindergruppen umgeht. Bei Julius Fischer wiederum – einen kleinen Applaus bitte“, fährt Franzi fort, „- bei Julius Fischer kann man Gitarre lernen und witzige Lieder und Fishing for Compliments, etwas man als Polizei wirklich als Grund-Skills braucht in diesem Land. Außerdem ist es bei Julius möglich, immer donnerstags das Fach „Jovialer Umgang mit Dynamo-Fans“ zu belegen, und ansonsten lehrt er, wozu er gerade Lust hat. – Und dort drüben“, Franziska wendet sich jetzt mir zu, „dort steht Kurt Mondaugen – unsere polizeiausbildnerische Allzweckwaffe, wenn ich so sagen darf: Kurt Mondaugen wird bei uns Vorlesungen halten über: allgemeine Polizeiphilosophie und skandinavische Polizeikultur, über die krasse Idee menschlicher Grundrechte, über die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und Anarchismus, über die Psychopathologie des Autoritären Zwangscharakters und über Die Furcht vor der Freiheit von Erich Fromm. Nebenher lehrt Kurt Mondaugen auch noch Schamanistisches Deeskalationstraining, Polizei-Awareness und Mental Health mit Salbei-Räucherkerzen statt Tränengas. – So, das ist die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz – das Kernteam des Lehrkörpers. Für spezielle Themen laden wir aber immer mal wieder auch Gastdozenten ein: von Copwatch, von Leipzig nimmt Platz, von Fridays for Future und der Letzten Generation und von den Omas gegen rechts. Diese bieten kleine Workshops und Trainings an u.a. zu den Themen Abolitionismus, Klimagerechtigkeit, 1,5-Grad-Ziel und Stolpersteine putzen.“

Damit hat Franziska Wilhelm ihre Vorstellung des Lehrkörpers beendet. Der größere Teil der neuen Polizeischüler*innen applaudiert erwartungsvoll, der andere Teil jedoch blickt nun vollends verwirrt in die Runde und muss spätestens bei den Worten „Stolpersteine putzen“ gegen ein permanentes Hochschnellen des rechten Arms zum Deutschen Gruß ankämpfen

„Ach ja“, Franziska Wilhelm räuspert sich, „hätt‘ ich beinahe vergessen. – Bevor es losgeht: Noch ein letzter Hinweis an die Polizeischüler*innen von den Freien Kameradschaften aus Döbeln, Wurzen, Bautzen, Plauen, Stötteritz, der Sächsischen Schweiz usw.: – Wir wissen alle, dass es nicht leicht ist, sich lange inkorporierte Sozialisationsmuster abzugewöhnen. Gehen Sie deshalb heute bitte zuerst einmal in unser polizei-eigenes Tanzstudio in der 2. Etage. Dort bieten die besten Choreografinnen der Leipziger Tanztheater-Szene den Basiskurs „Sich den Hitlergruß abtrainieren – leicht gemacht“ an. – So: Und für alle anderen Schüler*innen empfehle ich: Schnupperkurse nach freier Auswahl. Erkunden Sie Ihre neue Polizeischule – und denkt immer daran: Es warten verdächtig gute Jobs auf Euch, Leute! Hier in Connewitz und überall in Sachsen!“

Zoom und Schnitt:

„Kurt, Kurt, Kurt – Du musst aufwachen“, ich höre die Stimme meiner Exfreundin und Therapeutin Natascha-Lou Salomé. Sie rüttelt wie wild an meiner Schulter. „Kurt, du kannst hier auf der Couch nicht einfach stundenlang rumträumen. Du musst rausgehen und dein Leben ändern und wirklich was tun für Deinen Lebenstraum, ein guter sächsischer Polizeiausbilder zu werden. Und wenn Du Armin Schuster wirklich mal in echt treffen solltest dabei, dann schick‘ ihn unbedingt sofort her zu mir in die therapeutische Praxis. Es ist voll krass, dass ein Mann, mit einer solchen psychischen Disposition, gegen den sogar Angela Merkel vehement persönlich ihr Veto einlegte, als Horst Seehofer ihn 2018 zum Präsidenten des Deutschen Verfassungsschutzes machen wollte, dass ein solcher Mann jetzt stattdessen Innenminister in Sachsen geworden ist.“

Und Schluss!

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